blicke nach innen. Nicäa
Die Ausstellung möchte ihre Gäste auf einen Weg mitnehmen. Die Bilder, die zu sehen sind, markieren nicht nur wesentliche Wegkreuzungen der christlichen Bildgeschichte, sondern wollen die Betrachtenden stärken und ihnen Heimat bieten. Pilger und Migranten aller Jahrhunderte haben in ihrer Seele die religiösen Bilder ihrer Heimat mitgetragen. Heute ist es der Tsunami an Visuals und Bildreizen, die uns überfordern und nicht zuletzt die bewusste Wahrnehmung der religiösen Bilder unserer Tradition erschweren. Auch das ist eine Form der inflationären Abwertung der Bilder, wie dies mit dem Begriff des „Bildersturms“ zum Ausdruck gebracht wurde. Insofern wird hier ein Weg der inneren Klärung vorgeschlagen, der sich in einer Schule des Sehens entfaltet.
Das elementare Angebot der Bilder in dieser Ausstellung macht wachsam und widerständig gegenüber den vielfältigen Strategien der Manipulation. Die Kultivierung der „blicke nach innen“ befähigt zum kritischen Blick auf Bilder ideologischer und politischer Propaganda. Mit dem I. Konzil von Nicäa im Jahr 325, dessen Jubiläum wir heuer feiern, hat das Ringen um die Möglichkeit der Abbildung des Göttlichen begonnen. Durch die Menschwerdung Gottes in der Person des Jesus von Nazareth, wie dies von den Aposteln und der Urkirche bezeugt wurde, hat eine neue Hoffnungsgeschichte begonnen. Der gekreuzigte und auferstandene Christus ist die „Ikone“ des lebendigen Gottes.
Kaiser Konstantin hat die Bischöfe zum ersten Ökumenischen Konzil nach Nicäa eingeladen, weil er sich von einer geeinten Kirche eine Stabilisierung des Reiches erhoffte. Die „Pax Romana“ sollte gewahrt werden. Das erste Konzil, an der über 200 Bischöfe teilgenommen haben, hat trotz der vielen Verwerfungen, die der Streit um die christologische Irrlehre des Arius ausgelöst hat, eine enorme Wirkungsgeschichte entfaltet: Der christliche Glaube hat durch die Ikonen, die majestätischen Mosaike und die sakralen Bauten im Stile der römischen Basiliken eine neue Sichtbarkeit erlangt. Das II. Konzil von Nicäa, das im Jahr 787 stattfand, hat einen Weg der Wertschätzung von Bildern begründet, dem sich diese Ausstellung verpflichtet weiß.
Neustart. Hoffnungsperspektive
Das Video von Paul Pfeiffer aus New York, Morning after the Deluge, der Morgen nach der Sintflut, aus dem Jahr 2003 führt in die Ausstellung ein und zugleich darüber hinaus. Das Werk bezieht sich auf William Turners Gemälde von 1843, das drei Titel aufweist: Light and Colours (Goethes Farbenlehre) – Morning after the Deluge – Moses Writing the Book of Genesis. Pfeiffer verwendet Filmmaterial von Aufgängen und Untergängen der Sonne, das er digital bearbeitet. Damit fordert er die Wahrnehmung der Betrachtenden heraus, die ihr Augenmerk ganz auf die Natur und die Tageszeiten richten können. Der religiöse Blick nimmt den Hinweis auf den biblischen Bericht von der Sintflut auf und bezieht die drei Titel auf die Neuschöpfung nach der Flut. Es ist die Rede vom Morgen nach der Zerstörung und auch von Mose, der das Buch Genesis niedergeschrieben hat. Eine unerwartete Hoffnungsperspektive.
Aufnehmen. Wahrnehmen
In diesem Raum gibt es neben dem Impressum betreffend die Organisation der Ausstellung ein Bild zu sehen: Es ist das Mosaik, auf dem eine Girlande mit Pfauenfedern dargestellt ist. Damit ergibt sich zwischen der Infotafel und dem kostbaren Bildwerk ein Kontrast, der für die Entsprechung von Alltag und Fest steht. Besonders in altchristlicher Zeit findet sich der Pfau in Darstellungen des Paradieses und als Symbol für das Ewige Lebens. Ab dem Mittelalter finden wir den Pfau auch als Attribut für die Laster Eitelkeit und Hochmut. Das Mosaik, Ghirlande e piume di pavone, wurde 2019 in der Scuola Mosaicisti de Friuali als Hommage an die antiken Mosaiken von El Djem in Tunesien hergestellt.
Fluss der Zeit. Heilsgeschichte
Der Zeitstrahl bettet das I. Konzil von Nicäa in einen Weg ein, der mit der Geburt Christi beginnt und bis in die Jetztzeit reicht. Im Fluss der Zeit wird Heilsgeschichte fortgeschrieben. Wesentlich sind die beiden Wegmarkierungen der Jahre 325 und 1965. Die beiden Jahreszahlen stehen für das erste und das vorläufig letzte Ökumenische Konzil, das Zweite Vatikanische Konzil. Es wurde vor 60 Jahren abgeschlossen.
Von Günther Steiner aus Lienz stammen die fünf computergenerierten Buchstaben, die den Schriftzug NICÄA bilden. Die Ortsangabe wird durch sein künstlerisches Konzept zu einem Hinweis, dass es nicht nur um die antike Stadt geht, sondern dass es zu allen Zeiten Orte braucht, wo eine menschenfreundliche Gesellschaft ihren Ausgangspunkt nehmen kann.
Die Aushänge, bzw. Lobby Cards für die Filme Ben Hur, 1959, und Il Vangelo Secondo Matteo, 1964, bringen die Ausstellung, die auf antike Bildzeugnisse zurückgeht, mit dem zeitgenössischen Medium des Films in eine heutige Wahrnehmung. Zu seiner Evangelien-Verfilmung schreibt Pier Paolo Pasolini: „Einerseits ist die Handlung durch meine eigenen Augen gesehen (als Atheist), andererseits durch die Augen eines Gläubigen.“
Kontinuität. Gemeinschaft auf dem Weg
Dieser Raum wird von den Gästen durch einen Torbogen betreten, der mit purpurfarbener Seide bespannt ist. Die Farbe Purpur war in der Antike den Mitgliedern der kaiserlichen Familie vorbehalten, bzw. durften nur vom Kaiser selbst verwendet werden.
Das Gemälde Säule I von Axel Kasseböhmer verbindet Antike und Moderne und betont mit seinem Bildausschnitt die Kontinuität von Bildmotiven quer durch viele Jahrhunderte.
Rechts von der Säule das Gemälde Blue Man von Adrian Paci – ein sitzender Mann, in sich gekehrt, nach innen schauend. Daneben Light of the World, ein Blatt von Kiki Smith. Theologisch richtungsweisend sind die Sterne, denen die Drei Könige gefolgt sind. Nicht zu übersehen: Andy Warhol, Mutter mit Kind, Geborgenheit und „ein Zeichen, dem widersprochen wird“ (Lk 2,34).
Omar Mismar aus Beirut verarbeitet in seinem Bildkonzept humanitäre Katastrophen der jüngsten Zeit. In dem zweiteiligen Mosaik I’ll take touching you cold verwendet er Tattoo-Motive von syrischen Flüchtlingen, die er in Lagern getroffen hat.
Das Bild der Märtyrer von Libyen von Nikola Sarić zeigt die Ermordung der 21 koptischen Christen in Libyen im Jahre 2015. Durch den ornamentalen Charakter veranschaulicht es eine Gemeinschaft in der Bedrängnis, eine Ökumene im Martyrium.
Inkarnation. Bildwerdung
Dieser Raum richtet die Aufmerksamkeit auf die Spannung zwischen Bildverneinung und Bildverehrung. Zu beiden Seiten des Ofens, der die Skulpturen von Moses und Aaron zeigt, ist das Werk von Volker Hildebrandt zu sehen, Du sollst Dir kein Bild machen… Ein Projekt. Darauf folgen die sechs Zeichnungen Propheten, die Rebecca Horn mit Kohle und Goldblättchen hergestellt hat. Immer geht es um die Frage, welche Rolle das Bild einnehmen darf, dass es Verweis bleibt und nicht selbst zum Götzenbildnis wird.
Die Werke auf der Fensterseite thematisieren das Ereignis der Verkündigung von Gottes Menschwerdung – das Bildnis von Andy Warhol zeigt nur die Hände in der Verkündigungsszene. Eine weitere Zeichnung von ihm zeigt einen Ausschnitt aus dem Fresko „Das Letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci. Die Collage Ave von Kiki Smith verdichtet die Zusammenhänge: Ohne das Einverständnis Mariens wäre die Fleischwerdung des Logos nicht möglich gewesen. Beim Bild Visitor, ein Selbstbildnis von Kiki Smith, geht es um das Sehen, Schauen, Betrachten.
Innere Reise. Prozession
„Vézelay gehen“, sich aufmachen, Überflüssiges zurücklassen. Die Werke von Raimer Jochims sind Modulationen des Lichtes, fließende Farbverläufe, die den Betrachter in eine innere Bewegung bringen. Sie wird weitergeführt mit einer Leiter nach oben und nach unten zugleich. Ebenso sachlich und nüchtern ist der „Einzug in Jerusalem“, keine Euphorie. Die Fotoarbeiten von Gerald Domenig zeigen lichthaltige Flächen, die auf Mauern oder in einem Buch entdeckt werden können. Es geht bei allen Kunstwerken in diesem Raum um das tiefere Wahr-Nehmen in allen Formen. Der Weg geht von außen nach innen – ein Weg des Schauens, der Kontemplation, auch mit Nicole van den Plas. „Das symbolische Denken ist ein bildhaftes Denken, das von der äußeren zur inneren Anschauung fortschreitet und welches zugleich die Sprache der geistigen Erfahrung darstellt,“ wie es reformierte Theologe Walter Nigg ausgedrückt hat.
Über der Tür das Bildnis Cusanus von Raimer Jochims. Sein Konzept vom Zusammenfall der Gegensätze (coincidentia oppositorum) spielt im gegenwärtigen Kunstdiskurs eine wichtige Rolle.
Zusammenkunft. Konzil
Der „Logos“ spielt im Werktitel von Rune Mields auf das Christentum an, das sich im Konzil auf eine geistige, spirituelle Übereinkunft geeinigt hat. Wir lassen die Spur des Lichtes auf uns wirken – Gemeinschaft, Synodalität – wie das Kind eine Scherbe in der Hand hält, in der sich die Sonne spiegelt. Programmatisch für den gesamten Raum ist das „Turn On“ von Adrian Paci, Grubenlampen auf Tribünen, die an Konzilszusammenkünfte erinnern. Und wir sehen vier Ikonen in der direkten Verbindung zu Nicäa: Nikolaus von Myra als Konzilsteilnehmer, die Gottesmutter Niceiskaja, dann die zentral gehängte Ikone mit dem Bild der versammelten Konzilsteilnehmer und eine Ikone mit der Kreuzerhöhung. Auf der letzten sind Helena und Konstantin zu sehen.
Das Werk „We/Me“ von Franz Wassermann versinnbildlicht bildnerisch das Zusammengerufen-werden. Die Gäste können die Würfel umstellen und eine ihnen entsprechende Tribüne formen.
Über der Tür, durch die man den Raum verlässt, ist ein Mandylion angebracht – es macht die Tür zu einer Pforte.
Unterscheidung der Geister. Erleuchtung
Aus der Kunstgeschichte der christlichen Malerei speisen sich die drei Gemälde von Glenn Brown, Shallow End, Tarantula Darling und Nailed to the Clouds. Daneben Bilder, die der mystischen Tradition des Christentums nahestehen - Daniele Buetti, White Tears, und die gestische Zeichnung von Rebecca Horn, Blüten der Mandel. Die Betrachtenden entscheiden, ob sie bereit sind, zu schauen. Also: Legen Sie sich bitte auf das Sofa und richten Sie Ihren Blick das Deckengemälde. Am Anfang war die Scheidung des Lichtes, wie es im Schöpfungsbericht der Genesis heißt. Die Gäste werden in diesem Raum gefragt, wie sie ihre persönliche Wahl treffen – für oder gegen das Licht, für oder gegen die dunklen Mächte. Das Mosaik des All-Sehenden Christus bildet das Motiv des Bildes ab, das Cusanus in seiner Schrift „De Visione Dei“ auf 80 Seiten beschrieben hat. Der berühmte Tiroler Bischof fordert die Benediktiner vom Tegernsee auf, das außergewöhnliche Christus-Bild genau zu betrachten, um ein geistliches Sehen zu erlernen.
Das Mosaik des Pantokrator aus einer Deesis ist das wichtigstes Bild in diesem Raum, hergestellt von der Scuola Mosaicisti de Friuali. Zu beiden Seiten der Tür ebenfalls Mosaike – das Motiv einer Hand (nach Michelangelo) und ein Auge, Werke von Cristina De Leoni.
An der Schwelle. Ahnung
Im atmosphärisch kühlen Stiegenhaus ist die Fotoarbeit von Carmen Brucic, „Kopf des gekreuzigten Jesus in Mexiko“, angebracht. Es hängt allein, weil es um die Vorbereitung einer Begegnung geht, der man sich nicht entziehen sollte. Das weißgestrichene Gesicht zeigt sich hyperrealistisch. Hölderlin spricht den Betrachter in einem Gedichtvers an:
„Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern
Ihr Dichter, mit entblößtem Haupt zu stehen.“
Gabe. Hingabe
In der Burgkapelle ist das zentrale Motiv die Darstellung des Gnadenstuhls – Gott, der seinen Sohn, den gekreuzigten Christus der Welt als Gabe reicht. Von diesem Zentrum ausgehend schwebt eine „Eucharistische Taube“, aus Silber gefertigt von Goudji im Raum, eine Leihgabe aus der Schatzkammer der Kathedrale von Chartres.
Das Thema dieser Kapelle, die Simon von Taisten um 1500 wie ein bildhaftes Credo gestaltet hat, wird in einem existenziell durchlittenen Sonett von Michelangelo zusammengefasst:
„Selbst Gott zeigt niemals nicht sich anders mir
als in vergänglichem und leichtem Schein,
und diesen lieb’ ich nur, weil er ihn spiegelt.“
Die beiden sw-Fotografien von Jean-Baptiste Huynh auf der Empore, Etude de mains – eine Hand streckt sich aus dem Feuer und die andere Hand fängt Wassertropfen auf – sind ebenfalls eine Spiegelung der göttlichen Bewegung in diesem Raum.
Transformation. Vom Porträt zum Antlitz
„Jetzt sehen wir durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“ Dieser Vers aus dem Hohelied der Liebe, das Paulus in seinen Brief an die Gemeinde in Korinth aufgenommen hat, ist das Motto in diesem Raum, in dem sich die Ausstellung verdichtet. SUSI POP unternimmt den Versuch, „die unausdeutbare und in keine Formel zu bringende Christus-Gestalt dem Betrachter näherzubringen. Diese Betonung des Fremdartigen, der Hoheit und der Andersartigkeit entspricht dem Christus des Neuen Testamentes“, wie Walter Nigg es formuliert.
Die Skulptur von Gustav Seitz ist ganz Ohr, ein persönliches Lauschen nach dem Transzendenten. Dementsprechend ist das Andachtsbild „Meditation“ von Alexej von Jawlensky ganz Auge. Es geht um eine persönliche Begegnung, um Nähe ohne Vereinnahmung. Eine ähnliche Spannung findet sich in den Arbeiten „Die Fußwaschung“ und „Der Kuß des Judas“ von Thomas Locher – mystische Begegnung (nach Giotto) und Kapitalismuskritik zugleich: G steht für Geld, W für Ware.
Arnulf Rainer stärkt mit seinen „Übermalungen“ die Tiefenwahrnehmung der Glaubensbilder. Auf dem Kreuz klebt ein Handschuh, Relikt intensiver Berührung und zugleich Verweis auf die „dunkle Nacht“ des Glaubens (Johannes von Kreuz). Hermann Nitsch zeichnet eine eindrucksvolle Prozession der Apostel rund um Christus, sowie deren Nachfolger – Verweis auf die Bischöfe, die im Konzil versammelt sind. Nach einer Vorlage brachte der junge Nitsch den predigenden Christus mit Tusche auf Papier. Die in diesem Raum versammelten Künstler gehen damit wie Van Gogh in einem seiner Briefe über Rembrandt schreibt, „so tief ins Mysteriöse“, dass sie Dinge sagen, „für die es in keiner Sprache Worte gibt“.
Künstlerliste der Ausstellung blicke nach innen. Nicäa
Die Zahl in der Klammer gibt die Anzahl der Werke an.
1. Horst ANTES (1)
2. Glenn BROWN (3)
3. Carmen BRUCIC (1)
4. Daniele BUETTI (1)
5. Phillip V. CARUSO (1)
6. Francesco CLEMENTE (1)
7. Gerald DOMENIG (5)
8. GOUDJI (5)
9. Volker HILDEBRANDT (2)
10. Jean-Baptiste HUYNH (2)
11. Alexej von JAWLENSKIJ (1)
12. Raimer JOCHIMS (3)
13. Axel KASSEBÖHMER (1)
14. Cristina De LEONI (2)
15. Thomas LOCHER (2)
16. Rune MIELDS (1)
17. Omar MISMAR (2)
18. Hermann NITSCH (4)
19. Paul PFEIFFER (1)
20. Pier Paolo PASOLINI (11 Lobby Cards)
21. Adrian PACI (4)
22. Otto PIENE (2)
23. Nicole Van den PLAS (8-teilig)
24. SUSI POP (3)
25. Arnulf RAINER (3)
26. Nikola SARIC (2)
27. Gustav SEITZ (1)
28. Kiki SMITH (3)
29. Günther STEINER (5-teilig)
30. Manfred STUMPF (2-teilig)
31. Andy WARHOL (3)
32. Franz WASSERMANN (16-teilig)
33. William WYLER (9 Lobby Cards)
34. Glasbild (3-teilig)
35. Ikonen (7)
36. Reliquiar (1)
37. Scuola Mosaicisti de Friuali (2)
blicke nach innen. Nicäa
Die Ausstellung möchte ihre Gäste auf einen Weg mitnehmen. Die Bilder, die zu sehen sind, markieren nicht nur wesentliche Wegkreuzungen der christlichen Bildgeschichte, sondern wollen die Betrachtenden stärken und ihnen Heimat bieten. Pilger und Migranten aller Jahrhunderte haben in ihrer Seele die religiösen Bilder ihrer Heimat mitgetragen. Heute ist es der Tsunami an Visuals und Bildreizen, die uns überfordern und nicht zuletzt die bewusste Wahrnehmung der religiösen Bilder unserer Tradition erschweren. Auch das ist eine Form der inflationären Abwertung der Bilder, wie dies mit dem Begriff des „Bildersturms“ zum Ausdruck gebracht wurde. Insofern wird hier ein Weg der inneren Klärung vorgeschlagen, der sich in einer Schule des Sehens entfaltet.
Das elementare Angebot der Bilder in dieser Ausstellung macht wachsam und widerständig gegenüber den vielfältigen Strategien der Manipulation. Die Kultivierung der „blicke nach innen“ befähigt zum kritischen Blick auf Bilder ideologischer und politischer Propaganda. Mit dem I. Konzil von Nicäa im Jahr 325, dessen Jubiläum wir heuer feiern, hat das Ringen um die Möglichkeit der Abbildung des Göttlichen begonnen. Durch die Menschwerdung Gottes in der Person des Jesus von Nazareth, wie dies von den Aposteln und der Urkirche bezeugt wurde, hat eine neue Hoffnungsgeschichte begonnen. Der gekreuzigte und auferstandene Christus ist die „Ikone“ des lebendigen Gottes.
Kaiser Konstantin hat die Bischöfe zum ersten Ökumenischen Konzil nach Nicäa eingeladen, weil er sich von einer geeinten Kirche eine Stabilisierung des Reiches erhoffte. Die „Pax Romana“ sollte gewahrt werden. Das erste Konzil, an der über 200 Bischöfe teilgenommen haben, hat trotz der vielen Verwerfungen, die der Streit um die christologische Irrlehre des Arius ausgelöst hat, eine enorme Wirkungsgeschichte entfaltet: Der christliche Glaube hat durch die Ikonen, die majestätischen Mosaike und die sakralen Bauten im Stile der römischen Basiliken eine neue Sichtbarkeit erlangt. Das II. Konzil von Nicäa, das im Jahr 787 stattfand, hat einen Weg der Wertschätzung von Bildern begründet, dem sich diese Ausstellung verpflichtet weiß.
Neustart. Hoffnungsperspektive
Das Video von Paul Pfeiffer aus New York, Morning after the Deluge, der Morgen nach der Sintflut, aus dem Jahr 2003 führt in die Ausstellung ein und zugleich darüber hinaus. Das Werk bezieht sich auf William Turners Gemälde von 1843, das drei Titel aufweist: Light and Colours (Goethes Farbenlehre) – Morning after the Deluge – Moses Writing the Book of Genesis. Pfeiffer verwendet Filmmaterial von Aufgängen und Untergängen der Sonne, das er digital bearbeitet. Damit fordert er die Wahrnehmung der Betrachtenden heraus, die ihr Augenmerk ganz auf die Natur und die Tageszeiten richten können. Der religiöse Blick nimmt den Hinweis auf den biblischen Bericht von der Sintflut auf und bezieht die drei Titel auf die Neuschöpfung nach der Flut. Es ist die Rede vom Morgen nach der Zerstörung und auch von Mose, der das Buch Genesis niedergeschrieben hat. Eine unerwartete Hoffnungsperspektive.
Aufnehmen. Wahrnehmen
In diesem Raum gibt es neben dem Impressum betreffend die Organisation der Ausstellung ein Bild zu sehen: Es ist das Mosaik, auf dem eine Girlande mit Pfauenfedern dargestellt ist. Damit ergibt sich zwischen der Infotafel und dem kostbaren Bildwerk ein Kontrast, der für die Entsprechung von Alltag und Fest steht. Besonders in altchristlicher Zeit findet sich der Pfau in Darstellungen des Paradieses und als Symbol für das Ewige Lebens. Ab dem Mittelalter finden wir den Pfau auch als Attribut für die Laster Eitelkeit und Hochmut. Das Mosaik, Ghirlande e piume di pavone, wurde 2019 in der Scuola Mosaicisti de Friuali als Hommage an die antiken Mosaiken von El Djem in Tunesien hergestellt.
Fluss der Zeit. Heilsgeschichte
Der Zeitstrahl bettet das I. Konzil von Nicäa in einen Weg ein, der mit der Geburt Christi beginnt und bis in die Jetztzeit reicht. Im Fluss der Zeit wird Heilsgeschichte fortgeschrieben. Wesentlich sind die beiden Wegmarkierungen der Jahre 325 und 1965. Die beiden Jahreszahlen stehen für das erste und das vorläufig letzte Ökumenische Konzil, das Zweite Vatikanische Konzil. Es wurde vor 60 Jahren abgeschlossen.
Von Günther Steiner aus Lienz stammen die fünf computergenerierten Buchstaben, die den Schriftzug NICÄA bilden. Die Ortsangabe wird durch sein künstlerisches Konzept zu einem Hinweis, dass es nicht nur um die antike Stadt geht, sondern dass es zu allen Zeiten Orte braucht, wo eine menschenfreundliche Gesellschaft ihren Ausgangspunkt nehmen kann.
Die Aushänge, bzw. Lobby Cards für die Filme Ben Hur, 1959, und Il Vangelo Secondo Matteo, 1964, bringen die Ausstellung, die auf antike Bildzeugnisse zurückgeht, mit dem zeitgenössischen Medium des Films in eine heutige Wahrnehmung. Zu seiner Evangelien-Verfilmung schreibt Pier Paolo Pasolini: „Einerseits ist die Handlung durch meine eigenen Augen gesehen (als Atheist), andererseits durch die Augen eines Gläubigen.“
Kontinuität. Gemeinschaft auf dem Weg
Dieser Raum wird von den Gästen durch einen Torbogen betreten, der mit purpurfarbener Seide bespannt ist. Die Farbe Purpur war in der Antike den Mitgliedern der kaiserlichen Familie vorbehalten, bzw. durften nur vom Kaiser selbst verwendet werden.
Das Gemälde Säule I von Axel Kasseböhmer verbindet Antike und Moderne und betont mit seinem Bildausschnitt die Kontinuität von Bildmotiven quer durch viele Jahrhunderte.
Rechts von der Säule das Gemälde Blue Man von Adrian Paci – ein sitzender Mann, in sich gekehrt, nach innen schauend. Daneben Light of the World, ein Blatt von Kiki Smith. Theologisch richtungsweisend sind die Sterne, denen die Drei Könige gefolgt sind. Nicht zu übersehen: Andy Warhol, Mutter mit Kind, Geborgenheit und „ein Zeichen, dem widersprochen wird“ (Lk 2,34).
Omar Mismar aus Beirut verarbeitet in seinem Bildkonzept humanitäre Katastrophen der jüngsten Zeit. In dem zweiteiligen Mosaik I’ll take touching you cold verwendet er Tattoo-Motive von syrischen Flüchtlingen, die er in Lagern getroffen hat.
Das Bild der Märtyrer von Libyen von Nikola Sarić zeigt die Ermordung der 21 koptischen Christen in Libyen im Jahre 2015. Durch den ornamentalen Charakter veranschaulicht es eine Gemeinschaft in der Bedrängnis, eine Ökumene im Martyrium.
Inkarnation. Bildwerdung
Dieser Raum richtet die Aufmerksamkeit auf die Spannung zwischen Bildverneinung und Bildverehrung. Zu beiden Seiten des Ofens, der die Skulpturen von Moses und Aaron zeigt, ist das Werk von Volker Hildebrandt zu sehen, Du sollst Dir kein Bild machen… Ein Projekt. Darauf folgen die sechs Zeichnungen Propheten, die Rebecca Horn mit Kohle und Goldblättchen hergestellt hat. Immer geht es um die Frage, welche Rolle das Bild einnehmen darf, dass es Verweis bleibt und nicht selbst zum Götzenbildnis wird.
Die Werke auf der Fensterseite thematisieren das Ereignis der Verkündigung von Gottes Menschwerdung – das Bildnis von Andy Warhol zeigt nur die Hände in der Verkündigungsszene. Eine weitere Zeichnung von ihm zeigt einen Ausschnitt aus dem Fresko „Das Letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci. Die Collage Ave von Kiki Smith verdichtet die Zusammenhänge: Ohne das Einverständnis Mariens wäre die Fleischwerdung des Logos nicht möglich gewesen. Beim Bild Visitor, ein Selbstbildnis von Kiki Smith, geht es um das Sehen, Schauen, Betrachten.
Innere Reise. Prozession
„Vézelay gehen“, sich aufmachen, Überflüssiges zurücklassen. Die Werke von Raimer Jochims sind Modulationen des Lichtes, fließende Farbverläufe, die den Betrachter in eine innere Bewegung bringen. Sie wird weitergeführt mit einer Leiter nach oben und nach unten zugleich. Ebenso sachlich und nüchtern ist der „Einzug in Jerusalem“, keine Euphorie. Die Fotoarbeiten von Gerald Domenig zeigen lichthaltige Flächen, die auf Mauern oder in einem Buch entdeckt werden können. Es geht bei allen Kunstwerken in diesem Raum um das tiefere Wahr-Nehmen in allen Formen. Der Weg geht von außen nach innen – ein Weg des Schauens, der Kontemplation, auch mit Nicole van den Plas. „Das symbolische Denken ist ein bildhaftes Denken, das von der äußeren zur inneren Anschauung fortschreitet und welches zugleich die Sprache der geistigen Erfahrung darstellt,“ wie es reformierte Theologe Walter Nigg ausgedrückt hat.
Über der Tür das Bildnis Cusanus von Raimer Jochims. Sein Konzept vom Zusammenfall der Gegensätze (coincidentia oppositorum) spielt im gegenwärtigen Kunstdiskurs eine wichtige Rolle.
Zusammenkunft. Konzil
Der „Logos“ spielt im Werktitel von Rune Mields auf das Christentum an, das sich im Konzil auf eine geistige, spirituelle Übereinkunft geeinigt hat. Wir lassen die Spur des Lichtes auf uns wirken – Gemeinschaft, Synodalität – wie das Kind eine Scherbe in der Hand hält, in der sich die Sonne spiegelt. Programmatisch für den gesamten Raum ist das „Turn On“ von Adrian Paci, Grubenlampen auf Tribünen, die an Konzilszusammenkünfte erinnern. Und wir sehen vier Ikonen in der direkten Verbindung zu Nicäa: Nikolaus von Myra als Konzilsteilnehmer, die Gottesmutter Niceiskaja, dann die zentral gehängte Ikone mit dem Bild der versammelten Konzilsteilnehmer und eine Ikone mit der Kreuzerhöhung. Auf der letzten sind Helena und Konstantin zu sehen.
Das Werk „We/Me“ von Franz Wassermann versinnbildlicht bildnerisch das Zusammengerufen-werden. Die Gäste können die Würfel umstellen und eine ihnen entsprechende Tribüne formen.
Über der Tür, durch die man den Raum verlässt, ist ein Mandylion angebracht – es macht die Tür zu einer Pforte.
Unterscheidung der Geister. Erleuchtung
Aus der Kunstgeschichte der christlichen Malerei speisen sich die drei Gemälde von Glenn Brown, Shallow End, Tarantula Darling und Nailed to the Clouds. Daneben Bilder, die der mystischen Tradition des Christentums nahestehen - Daniele Buetti, White Tears, und die gestische Zeichnung von Rebecca Horn, Blüten der Mandel. Die Betrachtenden entscheiden, ob sie bereit sind, zu schauen. Also: Legen Sie sich bitte auf das Sofa und richten Sie Ihren Blick das Deckengemälde. Am Anfang war die Scheidung des Lichtes, wie es im Schöpfungsbericht der Genesis heißt. Die Gäste werden in diesem Raum gefragt, wie sie ihre persönliche Wahl treffen – für oder gegen das Licht, für oder gegen die dunklen Mächte. Das Mosaik des All-Sehenden Christus bildet das Motiv des Bildes ab, das Cusanus in seiner Schrift „De Visione Dei“ auf 80 Seiten beschrieben hat. Der berühmte Tiroler Bischof fordert die Benediktiner vom Tegernsee auf, das außergewöhnliche Christus-Bild genau zu betrachten, um ein geistliches Sehen zu erlernen.
Das Mosaik des Pantokrator aus einer Deesis ist das wichtigstes Bild in diesem Raum, hergestellt von der Scuola Mosaicisti de Friuali. Zu beiden Seiten der Tür ebenfalls Mosaike – das Motiv einer Hand (nach Michelangelo) und ein Auge, Werke von Cristina De Leoni.
An der Schwelle. Ahnung
Im atmosphärisch kühlen Stiegenhaus ist die Fotoarbeit von Carmen Brucic, „Kopf des gekreuzigten Jesus in Mexiko“, angebracht. Es hängt allein, weil es um die Vorbereitung einer Begegnung geht, der man sich nicht entziehen sollte. Das weißgestrichene Gesicht zeigt sich hyperrealistisch. Hölderlin spricht den Betrachter in einem Gedichtvers an:
„Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern
Ihr Dichter, mit entblößtem Haupt zu stehen.“
Gabe. Hingabe
In der Burgkapelle ist das zentrale Motiv die Darstellung des Gnadenstuhls – Gott, der seinen Sohn, den gekreuzigten Christus der Welt als Gabe reicht. Von diesem Zentrum ausgehend schwebt eine „Eucharistische Taube“, aus Silber gefertigt von Goudji im Raum, eine Leihgabe aus der Schatzkammer der Kathedrale von Chartres.
Das Thema dieser Kapelle, die Simon von Taisten um 1500 wie ein bildhaftes Credo gestaltet hat, wird in einem existenziell durchlittenen Sonett von Michelangelo zusammengefasst:
„Selbst Gott zeigt niemals nicht sich anders mir
als in vergänglichem und leichtem Schein,
und diesen lieb’ ich nur, weil er ihn spiegelt.“
Die beiden sw-Fotografien von Jean-Baptiste Huynh auf der Empore, Etude de mains – eine Hand streckt sich aus dem Feuer und die andere Hand fängt Wassertropfen auf – sind ebenfalls eine Spiegelung der göttlichen Bewegung in diesem Raum.
Transformation. Vom Porträt zum Antlitz
„Jetzt sehen wir durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“ Dieser Vers aus dem Hohelied der Liebe, das Paulus in seinen Brief an die Gemeinde in Korinth aufgenommen hat, ist das Motto in diesem Raum, in dem sich die Ausstellung verdichtet. SUSI POP unternimmt den Versuch, „die unausdeutbare und in keine Formel zu bringende Christus-Gestalt dem Betrachter näherzubringen. Diese Betonung des Fremdartigen, der Hoheit und der Andersartigkeit entspricht dem Christus des Neuen Testamentes“, wie Walter Nigg es formuliert.
Die Skulptur von Gustav Seitz ist ganz Ohr, ein persönliches Lauschen nach dem Transzendenten. Dementsprechend ist das Andachtsbild „Meditation“ von Alexej von Jawlensky ganz Auge. Es geht um eine persönliche Begegnung, um Nähe ohne Vereinnahmung. Eine ähnliche Spannung findet sich in den Arbeiten „Die Fußwaschung“ und „Der Kuß des Judas“ von Thomas Locher – mystische Begegnung (nach Giotto) und Kapitalismuskritik zugleich: G steht für Geld, W für Ware.
Arnulf Rainer stärkt mit seinen „Übermalungen“ die Tiefenwahrnehmung der Glaubensbilder. Auf dem Kreuz klebt ein Handschuh, Relikt intensiver Berührung und zugleich Verweis auf die „dunkle Nacht“ des Glaubens (Johannes von Kreuz). Hermann Nitsch zeichnet eine eindrucksvolle Prozession der Apostel rund um Christus, sowie deren Nachfolger – Verweis auf die Bischöfe, die im Konzil versammelt sind. Nach einer Vorlage brachte der junge Nitsch den predigenden Christus mit Tusche auf Papier. Die in diesem Raum versammelten Künstler gehen damit wie Van Gogh in einem seiner Briefe über Rembrandt schreibt, „so tief ins Mysteriöse“, dass sie Dinge sagen, „für die es in keiner Sprache Worte gibt“.
Künstlerliste der Ausstellung blicke nach innen. Nicäa
Die Zahl in der Klammer gibt die Anzahl der Werke an.
1. Horst ANTES (1)
2. Glenn BROWN (3)
3. Carmen BRUCIC (1)
4. Daniele BUETTI (1)
5. Phillip V. CARUSO (1)
6. Francesco CLEMENTE (1)
7. Gerald DOMENIG (5)
8. GOUDJI (5)
9. Volker HILDEBRANDT (2)
10. Jean-Baptiste HUYNH (2)
11. Alexej von JAWLENSKIJ (1)
12. Raimer JOCHIMS (3)
13. Axel KASSEBÖHMER (1)
14. Cristina De LEONI (2)
15. Thomas LOCHER (2)
16. Rune MIELDS (1)
17. Omar MISMAR (2)
18. Hermann NITSCH (4)
19. Paul PFEIFFER (1)
20. Pier Paolo PASOLINI (11 Lobby Cards)
21. Adrian PACI (4)
22. Otto PIENE (2)
23. Nicole Van den PLAS (8-teilig)
24. SUSI POP (3)
25. Arnulf RAINER (3)
26. Nikola SARIC (2)
27. Gustav SEITZ (1)
28. Kiki SMITH (3)
29. Günther STEINER (5-teilig)
30. Manfred STUMPF (2-teilig)
31. Andy WARHOL (3)
32. Franz WASSERMANN (16-teilig)
33. William WYLER (9 Lobby Cards)
34. Glasbild (3-teilig)
35. Ikonen (7)
36. Reliquiar (1)
37. Scuola Mosaicisti de Friuali (2)